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Die Wasserprinzessin und der Feuerprinz

 

Es lebte einmal eine Prinzessin, die war in einem kleinen See zuhause. Sie war so schön wie der Morgentau und sie glitzerte wie Diamanten. Ihre Haut war dem Wasser sehr ähnlich und deshalb schien sie nahezu durchsichtig. Ihre Augen strahlten in dem reinsten Blau, welches man sich vorstellen kann. Normale Sterbliche konnten sie in dem kleinen See gar nicht von dem klaren Wasser unterscheiden, obwohl, mit guten Augen und bei bestimmten Lichtverhältnissen hätte man sie schon entdecken können. Vor allem das silberne Mondlicht schmeichelte ihrer glänzenden Haut besonders. Ihr Körper funkelte in ganz klaren Nächten und bei Vollmond wie die strahlendsten Sterne am Himmel. So eine Nacht gab es vor vielen Jahren zum Fest der Wintersonnenwende. Die Menschen entfachten ein großes Freudenfeuer am Ufer des kleinen Sees und feierten das Ende des Winters. Das Feuer war so groß und die Funken stoben so weit in den Himmel hinein, das ein ganz besonderer Prinz darauf aufmerksam wurde: der Feuerprinz. Dieser war viel unterwegs, denn er konnte nicht lange ohne ein Feuer überleben. Sein Körper war wiederum dem Feuer sehr ähnlich, denn er brauchte immer wieder die Hitze der Flammen, so empfindlich reagierte er auf die ganz normalen Temperaturen der sterblichen Welt. Seine Haut glühte wie die Sonne, seine Haare sprühten Funken und seine Augen funkelten wie glühende Kohlestückchen. Wenn irgendwo ein Feuer entfacht wurde, konnte man auch mit der Anwesenheit des Feuerprinzen rechnen. So auch an jenem Abend im Mai. Die Menschen ahnten natürlich nichts von ihren übersinnlichen Besuchern, weder die Wasserprinzessin, die heute Nacht besonders hell strahlte, noch der Feuerprinz, der das knisternde Feuer noch mehr zum Glühen brachte, wurde von den fröhlich Feiernden bemerkt. Dafür entdeckten die beiden sich gegenseitig. Die Prinzessin schaute vom Wasser aus in die funkensprühenden Augen des Prinzen, er schaute zurück in ihre klaren, blauen Augen. Ihnen stockte der Atem, es war Liebe auf den ersten Blick. Nun sagt man ja immer, Gegensätze ziehen sich an und ergänzen sich gegenseitig. Von einem solch unglaublich großen Unterschied zwischen zwei Liebenden hat man jedoch noch nie gehört. Trotzdem konnten die beiden den Blick nicht voneinander abwenden. Sie schauten sich vor Sehnsucht ununterbrochen in die Augen. Dabei bemerkten sie gar nicht, dass die Menschen schon lange nach Haus gegangen waren, das Feuer fast heruntergebrannt war und der Prinz sich längst eine neues Feuer hätte suchen müssen. Als die Glut endgültig verlosch, umrundete der Feuerprinz unglücklich den kleinen See, gefolgt von den sehnsüchtigen Blicken der Wasserprinzessin. Er musste für sich eine neue Bleibe suchen, seine Leuchtkraft schwand schon langsam dahin. Aber er konnte sich einfach nicht von dem schönen Antlitz seiner geliebten Prinzessin losreißen, so dass er bis zum letzten Augenblick am See ausharren wollte. In allerletzter Sekunde, vom Feuerprinzen war nur noch ein schwaches Glühen auszumachen, entschloss er sich dazu, selbst ein Feuer zu entzünden. Er nahm alle seine verbliebene Kraft zusammen und ließ aus seinem feuerroten Haar ein paar Funken sprühen. Glücklicherweise hatte es lange nicht geregnet und ein kleiner vertrockneter Baum fing Feuer. Der Prinz gewann seine Kraft zurück und vor Freude tanzte die Wasserprinzessin glücklich in ihrem See, so dass die Wellen heftig ans Ufer schlugen. Beinahe hätten die Wasserspritzer das Feuer wieder gelöscht und den Liebenden wurde so die Gefahr bewusst, in der sie ihre Liebe gebracht hatte. Trotzdem wollen sie sich nicht trennen, der Feuerprinz entzündete ein Feuer nach dem anderen. Als am gesamten Ufer nicht ein Baum, kein noch so kleiner Strauch, kein Grashalm und auch keine Blume mehr stand, musste die Wasserprinzessin ihr Zuhause verlassen. Gemeinsam fanden sie einen kleinen Bach, der den See mit frischem Wasser speiste. Sein kleines Flussbett war zwar viel zu eng für die schöne Prinzessin, aber die Liebe zu ihrem Feuerprinzen weckte ungeahnte Kräfte in ihr. Sie machte ihren Körper lang und somit so schmal sie nur konnte. Von nun an waren sie immer gemeinsam unterwegs, die Prinzessin fand immer neue Bachläufe und der Prinz folgte ihr, indem er ein kleines Feuer nach dem anderen entzündete. Für die beiden war das die schönste Zeit ihres Lebens, allein der bloße Anblick des Geliebten machte sie unglaublich glücklich. Zuerst merkten sie auch gar nicht, welch großen Schaden ihre Liebe den Menschen und der Natur brachte. Doch eines Tages konnten sie das nicht mehr übersehen. Der Feuerprinz hatte wieder mal ein kleines vertrocknetes Bäumchen angezündet. Das allein wäre ja noch nicht schlimm gewesen, aber nach einer langen Trockenzeit, es war damals ein sehr heißer Sommer, fingen die Bäume eines nahestehenden Waldes Feuer. Das Ganze entwickelte sich zu einem riesigen Waldbrand. Als die beiden sahen, wie plötzlich ganz viele Tiere in Panik an ihnen vorbei stürzten, fiel ihnen auf, was sie angerichtet hatten. Sie sahen die Menschen, die voller Verzweiflung versuchten, sich oder anderen das Leben zu retten oder ihr Hab und Gut vor den Flammen in Sicherheit zu bringen. Vor lauter Scham verließen sie schnell diesen Ort und fanden ein schönes einsames Plätzchen, einen kleinen See ganz ähnlich dem, wo die Wasserprinzessin einst zuhause war. Der Feuerprinz entfachte diesmal kein neues Feuer. Er setzte sich ans Ufer und schaute traurig in das ebenfalls traurige Antlitz seiner geliebten Prinzessin. Beiden war klar, ihre Liebe hatte vielleicht vielen Tieren vielleicht sogar Menschen das Leben gekostet. Das hatten sie nicht gewollt und so konnten sie nicht weitermachen. Aber ihre Sehnsucht nacheinander war so groß, das Verlangen, dem anderen nahe zu sein so übermächtig, dass sie sich nur anzuschauen brauchten und wussten, was zu tun ist. Sie warteten bis zum Abend, der Vollmond brachte die Prinzessin zum Funkeln, so dass der See wie hell erleuchtet wirkte. Der Prinz entfachte sein letztes Feuer, um noch einmal Kraft zu tanken. Er stand am Ufer und erfreute sich des wunderbaren und funkelnden Anblicks seiner Geliebten. Sie schaute aus dem See in seine glühenden Augen und genoss den hellen Feuerschein ihres liebgewonnenen Gefährten. Von Anfang an hatten sie sich ohne Worte verstanden, so auch jetzt.

Die Wasserprinzessin breitete die Arme aus und der Feuerprinz nahm einen kurzen Anlauf und sprang in ihre Umarmung. Das Wasser des Sees spritze auf, es brodelte und zischte. Eine riesige Wolke Wasserdampf bildete sich über dem See, bis dieser schließlich gänzlich austrocknete. Weder von der Prinzessin noch von ihrem Prinzen war etwas auf dem trockenen Grund zurückgeblieben.

Ein kleines Mädchen, das an diesem Abend viel zu spät noch am See unterwegs war, erzählte seiner Mutter von seinem merkwürdigen Erlebnis. Doch diese glaubte ihrer Tochter nicht. Sie vermutete, dass sie sich das alles nur ausgedacht hatte, um der Strafe fürs Zuspätkommen zu entgehen. Aber die Kleine war sich ganz sicher, in der Wasserdampfwolke ein helles Glitzern wie von Diamanten gesehen zu haben. Und wenn sie sich ganz genau erinnerte, waren da auch noch zwei rote Lichtpunkte, wie von zwei glühenden Kohlestückchen.

 

 

Vom kleinen Zuckerstückchen

 

Die kleine Martina hat Geburtstag, gleich muss sie aus der Schule kommen. Der Tisch ist hübsch gedeckt mit einem Kirschkuchen und den Tellern für fünf Gäste, für das Geburtstagskind und für deren Mama. noch ist es im Zimmer ganz, ganz still. Als ob der Raum die Luft anhalten würde, weiß er doch, dass es gleich mit der Ruhe vorbei ist. Es ist so still, dass man sich schon einbildet, ein kleines Wispern zu vernehmen. Ist das wirklich Einbildung oder spricht da jemand so unglaublich leise, dass man seinen Ohren gar nicht trauen möchte? Das Zimmer ist doch leer, woher kommt das geheimnisvolle Wispern?

„Ob ich in den Kaffee komme?“

„Ich würde ja lieber direkt in den Mund gesteckt werden! Am liebsten von Martina selbst.“

„Ach du weißt doch, dass Mama das gar nicht gerne sieht!“

„Ja schon, aber manchmal erlaubt sie es eben doch. Und heute ist doch ihr Geburtstag!“

Plötzlich ist es im Zimmer gar nicht mehr so still, denn die Tür ist aufgegangen und Martina stürmt mit ihren Gästen herein. Sie pfeffern ihre Schulranzen in die Ecke und schmeißen gleich die Jacken hinterher. Schwatzend und kichernd setzen sie sich an den Tisch und jeder lässt sich von der Mama ein Stück Kuchen auf den Teller legen. „Wem der Kakao nicht süß genug ist, der kann sich noch ein Stückchen Zucker nehmen.“ sagt Mama. Im Moment ist es wieder fast so still wie vorhin, hin und wieder ein kleines Schmatzen. Sonst nichts - oder?

„Au ja, in den Kakao!“

„Mach dich nicht so breit, ich warte schon viel länger als du! Du bist gestern erst reingekommen.“

„Papperlapapp, wer zuletzt kommt, süßt zuerst.“

„Hey, nicht so drängeln, ich will auch dran!“

„Aua, du hast mir ein Eckchen weggebrochen, pass doch auf!“

„Mann oh Mann, seid ihr bescheuert, ich verdrück mich lieber.“

Wer hätte das gedacht, in der Zuckerdose herrscht helle Aufregung. Alle Zuckerstückchen wollen zuerst in den Kaffee oder in den Kakao. Die kleinen drängeln, was das Zeug hält. Sie versuchen sich an ihren Geschwistern vorbei zu drücken, sie schieben sich in die Mitte und plustern sich auf. Wer ganz oben liegt, macht sich so breit wie er kann, damit er auch ja nicht übersehen wird.

Da kommt auch schon eine Hand.

„Wer ist es, wer ist es?“

„Ich glaube, die Mama!“

„Ah, in den Kaffee!“

„Wie schön!“

„Ich!“

„Ich!“

„nein, ich!“

„Hier, nimm mich!“

„nein lieber…..“

Weg ist das Stücken aus der Mitte. Die anderen können es nicht mehr hören, wie es freudig erregt jubelt: „Endlich, ich komm in den Kaffee, ich mach ihn süß, ich lös mich…“ und plumps, weg ist es.

„Sie nimmt immer zwei! Einer kommt noch dran!“

„Hier bin ich, hallo hier!“

„Nein hier, ich, ich, ich!“

„Hurra! Ich bin …..“ Plumps ab in den Kaffee.

Jetzt kommt eine kleine Hand zur Zuckerdose, und wieder beginnt das Gerangel und Geschrei unter den Stückchen.

„In den Kakao, wie herrlich!“

„Ich, ich, ich!“ 

„Hast du ein Glück!“

„Och, ich wollte doch auch!“

So geht das noch eine ganze Weile. Die Mama trinkt immer zwei Tassen und alle Kinder trinken gern süßen Kakao.

„Und weg sind sie, mir passiert das nicht.“ hört man von ganz hinten jemanden leise wispern.

Ein einziges kleines Zuckerstückchen nimmt nicht teil an der großen Aufregung in der Dose. Es hat sich in ein stilles Eckchen unterm Rand versteckt und stirbt fast vor Angst, trotzdem gefunden zu werden.

Der Tisch wird abgeräumt, die Zuckerdose bekommt ihren Deckel und verschwindet im Schrank. Trotz der Dunkelheit herrscht in der Dose noch lange keine Ruhe. Alles redet wild durcheinander. Es wird diskutiert, wie viele von ihnen heute das große Glück hatten, die Zuckerdose zu verlassen.

„Zehn mindestens“

„Ach woher denn, 15!“

Auf eine genaue Zahl können sie sich nicht einigen aber alle, bis auf eines, sind sich doch in einer Sache einig: heute war ein ganz großer Tag.

„Wie könnt ihr nur so fröhlich sein?“ fragt das ängstliche unter ihnen. „Eure Geschwister sind für immer verschwunden, und euch hätte es auch beinahe erwischt.“

„Du bist mir ja ein komischer Kauz.“ Wird ihm aus der Mitte geantwortet. „Dafür sind wir doch da.“

Und eine andere Stimme ruft ihm erregt zu: „Ja, das ist doch unsere Bestimmung. Was sollen wir den für alle Ewigkeit in der Dunkelheit rum sitzen, wenn wir doch extra zum Süßen gemacht wurden?“

„Haben wir hier drin etwa keinen Spaß miteinander?“ fragt der Außenseiter von seinem sicheren Plätzchen unterm Rand.

Neben ihm wird gekichert und einer seiner Nachbarn sagt: „Klar haben wir Spaß, besonders mit dir. Du bist ja schon eine ganze Weile hier drin und kennst die meisten Geschichten.“

„Ja das stimmt. “ sagt ein anderes Stückchen in seiner Nähe. „Erzähl doch noch mal, wie Martina sich gleich zwei von uns raus gefischt hat und in den Mund stecken wollte!“

„Ja genau, was hat da ihre Mama noch mal gesagt?“

„Und wie war das, als sie ganz nah mit ihren Augen an uns rangekommen ist, als wolle sie das Schönste von uns finden?“

So erzählen sich die glücklichen Geschwister noch ganz lange Geschichten, bis auch das letzte unter ihnen endlich eingeschlafen ist. Auch unser ängstliches Zuckerstückchen hat für eine Weile seine Angst vergessen und ist ein bisschen vom Rand weggerutscht. Es steht immer gern im Mittelpunkt und freut sich besonders über Neuankömmlinge, denen es alle seine Geschichten erzählen kann. Solange der Deckel zu ist, besteht ja keine Gefahr und es kann geplaudert, gekichert und gestänkert werden.

„Ach könnte es doch immer so sein!“ ist jeden Abend sein letzter Gedanke vor dem Einschlafen.

Nun, es ist nicht so. Alle anderen Zuckerstückchen wären auch gar nicht froh darüber. Sie freuen sich jeden Tag darauf, wenn die Dose aus dem Schrank genommen wird. Alle halten den Atem an, wenn der Deckel abgenommen wird und das Licht herein scheint. Alle wegen der Vorfreude, eines vor lauter Angst, herausgefischt zu werden. Während sich die anderen dick und breit machen und jedes sich in die Mitte zu drängen versucht, verlässt unser vorsichtiges kleines Stückchen seinen Platz unterm Rand nie. Jedes mal atmet es erleichtert auf, wenn der Deckel wieder drauf ist und es ein bisschen in die Mitte rücken kann. Dann ist seine Zeit, es unterhält seine Geschwister mit den lustigsten Witzen und Geschichten. Es genießt die sichere Dunkelheit und die Aufmerksamkeit der anderen. Und es kommen ja auch immer neue Zuckerstückchen dazu, während andere glücklich im Kakao, Kaffee oder ganz und gar im Mund von Martina landen. Keines von denen kann den kleinen Angsthasen verstehen, der immer nur dann lebhaft wird, wenn die Dunkelheit kommt. Immer mal wieder wird auch gestritten, wer wohl recht habe. Diejenigen, die sich auf ihre Bestimmung zu Süßen freuen, oder unser kleines verschrecktes Stückchen. Egal wie viele anderer Meinung sind, egal wie sehr es ihre Freude sieht, egal wie die andern sich um es bemühen, unser ganz besonderes Zuckerstück ändert seine Einstellung nicht.

Am Anfang merkt es noch keiner. Die Zuckerdose wird immer leerer. Irgendwann hat die Mama aufgehört diese aufzufüllen. Als die Stückchen nicht mal bis zur Hälfte reichen und die kleine Martina mit den Fingern tief in die Dose greifen muss, fällt es unserem kleinen großen Erzähler auf, dass auch immer weniger nach seiner Unterhaltung verlangt wird. Alle scheinen seine Geschichten schon auswendig zu kennen.

„Wie lange ist eigentlich kein Neuer mehr zu uns gekommen?“ fragt es eines Abends in die Runde.

„Was für ein Neuer?“ wird zurückgefragt.

„Ach, ihr könnt das ja nicht wissen, ihr seid ja erst seit dem letzten Auffüllen da. Früher war hier viel mehr los.“

Ein Stimmchen von unten lässt verlauten: „Doch, ich kann mich noch gut erinnern. Ihr seid die letzten, die in die Dose geschüttet wurden. Das ist ganz schön lange her.“

„Und warum bist du dann noch hier?

„Irgendwie bin ich, obwohl ich mir so viel Mühe gegeben habe, ganz aus der Mitte weggerutscht.“ Sagt ein kleines trauriges Stückchen Zucker.

„Na dann sei doch einfach froh!“ meint unser Angsthäschen vom Rand her.

„Ach, ich hör dir schon so lange zu, und ich kann dich einfach nicht verstehen. Ich will endlich das erleben, was für mich bestimmt ist und du wehrst dich die ganze Zeit. Das ist mir völlig schleierhaft.“

„Nicht schon wieder dieser alte Streit!“ meldet sich ein anderes Stückchen ebenfalls von unten. „Ich bin leider auch schon etwas länger hier. Der Angsthase am Rand lässt sich doch sowieso nicht überzeugen!“

„Ja genau!“ stimmt eins von den neueren ihm zu. „Lasst uns einfach heraus finden, warum wir nur noch so wenige sind, und keine Neuen mehr dazu kommen!“

„Was meinst du am Rand dazu, du scheinst ja wohl am längsten hier zu sein?“ Fragt ein ebenfalls Neuer.

Und schon ist der kleine große Geschichtenerzähler wieder ganz im Mittelpunkt.

„Ich glaube, die Mama nimmt keinen Zucker mehr.“ Vermutet es.

„Ja das kann sein!“ meint ein anderes. „Ich mein, sie hätte irgendwas von einer Diät erzählt.“

„Und was ist mit Martina?“

„Ja Martina wird eben größer, vielleicht mag sie keinen Kakao mehr!“

Eine Weile spekuliert unser Zuckerstückchen noch mit den anderen, erzählt von der alten Zeit, z.B. von dem tollen Geburtstagsfest, wo mindestens 20 von ihnen verschwunden sind. Es übertreibt ein bisschen, damit alles noch interessanter wird. Aber irgendwann wird es unterbrochen.

„Wie schrecklich! Wir kommen hier nie mehr raus!“ jammert ein Stückchen aus der Mitte und ein anderes überlegt:

„Wenn das stimmt, was du vermutest, dann brauchen Martina und ihre Mama gar keinen Zucker mehr!“

„Dann seid doch froh! Wir machen es uns hier drin gemütlich und leben noch ewig und drei Tage.“

„Nein, das wollen wir nicht!“

„Nein, ich will in den Kaffee, in den Kakao, in die Milch…!“

In der Zuckerdose herrscht Verzweiflung und die Zuckerstückchen können ihr Glück gar nicht fassen, als sie doch ab und zu mal wieder ans Licht kommen. Jedes mal, wenn der Deckel geöffnet wird, geben sie sich mehr Mühe. Sie plustern sich auf, so gut es geht. Wenn sie könnten würden sie glatt von alleine in die Hände springen.

Und unser besonderes Stückchen? Es hat seine Meinung nicht geändert, wie eh und je verkriecht es sich am Rand, hält die Luft an und atmet erst in der Dunkelheit erleichtert auf. So ist es nicht verwunderlich, dass es eines Tages zu den beiden letzten in der Dose zählt. Diese wurde immer seltener geöffnet, es langweilten sich alle so sehr, dass sie das älteste unter ihnen immer wieder baten, eine schöne Geschichte zu erzählen. und gern war dieses bereit dazu.

Seinen letzten Gefährten hat es inzwischen besonders lieb gewonnen, obwohl dieser immer noch nicht von seiner Freude auf das Süßmachen abzubringen ist. Sie sind jetzt schon so lange zusammen, da macht eine Meinungsverschiedenheit eben nichts mehr aus.

Irgendwann glaubt unser kleiner Held, so könnte es immer weiter gehen. Doch gerade in diesem Augenblick wird die Zuckerdose aus dem Schrank genommen. Aber der Deckel wird nicht abgenommen, unsere beiden Zuckerstückchen hören Martina und ihre Mama reden.

„Was machen wir denn mit der schönen Zuckerdose?“ fragt Martina.

„Na, das neue Service hat doch auch eine schöne dabei.“ Antwortet die Mama. „Da brauchen wir diese eigentlich nicht mehr.“

Den beiden Zuckerstückchen bleibt fast das Herz stehen, dem einen vor Angst und dem anderen vor Freude.

„Ach Mama, zum Wegschmeißen ist die aber zu schade.“

„Da hast du recht. Wir stellen sie ganz hinten hin, da stört sie auch nicht.“ Die Mama nimmt die Dose und will sie schon wegstellen, doch Martina hält ihr schnell die Hand fest.

„Wart mal, Mama! Ein Stückchen noch, ausnahmsweise!“

„Na gut, zur Feier des Tages…..“

Schnell ist der Deckel runter, das vorletzte Stückchen herausgefischt und schon im Mund verschwunden.

Welches von den beiden letzten Zuckerstückchen wohl übriggeblieben ist, braucht sich sicher niemand zu fragen. Während das eine Stückchen mit allergrößter Willensanstrengung fast in Martinas Hand springt, halt sein ängstlicher Kamerad die Luft an. Und siehe da, es hat überlebt. Seine Freude ist unermesslich, als der Deckel wieder zuklappt und sich die Dunkelheit um ihn herum breit macht. Das kleine Zuckerstückchen spürt noch, wie die Zuckerdose ganz hinten im Schrank verstaut wird. Dann fällt es mit dem glücklichen Gedanken: „Ich hab’s geschafft“ in einen zufriedenen Schlummer. Tief schläft es und fest, so unbekümmert und angstfrei hat es noch nie geschlafen. Es träumt von einem langen und sorgenfreien Leben in der Zuckerdose. Im Schlaf sieht es seine Geschwister in einer langen Reihe an sich vorbei ziehen. „Ich habe als einziges überlebt!“ ist sein erster Gedanke beim Aufwachen. Immer wieder denkt es über die vielen Erlebnisse in der Dose nach, alle seine Geschichten fallen ihm ein. Sein Glück ist vollkommen, es hat recht behalten. Es hat sich gelohnt, so vorsichtig zu sein. Die anderen würden ihn beneiden, sähen sie ihr Geschwisterchen so glücklich und zufrieden. Es kann gar nicht genug davon bekommen, immer wieder in seinen Erinnerungen zu schwelgen.

Es vergeht viel Zeit. Tatsächlich scheint die Zuckerdose nicht mehr hervorgeholt zu werden. Vergessen sitzt unser letztes Zuckerstückchen in der Dunkelheit und kramt in seiner Vergangenheit

„Eigentlich schade, dass keiner von den anderen mehr da ist, um mir recht zu geben!“ sagt es vor sich hin. Seit längerem schon ist es zu Selbstgesprächen übergegangen. „Wenigstens mein allerletzter Kamerad hätte noch bei mir sein können.“ Seiner Meinung nach, war dieser zwar völlig uneinsichtig, aber trotzdem war seine Gegenwart doch sehr unterhaltsam. So richtig zugeben möchte es unser Stückchen nicht, aber es ist ihm doch etwas langweilig geworden. Keiner fragt nach seinen Geschichten oder nach seiner Meinung. Nach so langer Zeit wäre ihm sogar ein kleiner Streit um ihre Bestimmung recht gewesen. Was hat es schon davon, wenn niemand bemerkt, wie es seinen Triumph auskostet? Und der Beifall seiner Geschwister, wenn es so schön erzählte, fehlt ihm doch sehr.

Noch kann ihm der Gedanke an sein Überleben Trost und Genugtuung spenden, doch nach und nach schleichen sich die ersten Zweifel ein. Trotzdem vergeht noch eine Menge Zeit, bis zum ersten Mal dem Zuckerstückchen ein bestimmter Gedanke plagt: „Wenn nun die anderen recht hatten?“ Und keine noch so schöne Erinnerung kann diesen Gedanken völlig verdrängen. Im Gegenteil, manchmal fallen ihm natürlich nicht nur seine glücklichsten Momente ein, sondern die schönen Augenblicke seiner ehemaligen Gefährten, in denen diese vor Freude jubelten. Dann kann es schon passieren, dass unser kleines Stückchen traurig wird, weil es seine Freunde nicht mehr hat und es sich vielleicht nie mehr freuen kann.

Doch es muss noch viel, viel mehr Zeit vergehen, bis es einsieht: Ja die anderen hatten wohl recht. „Es kann ja wohl nicht meine Bestimmung sein“, sagt es zu sich, „jahrein und jahraus hier in der Dunkelheit zu hocken und alte Erinnerungen auszugraben.“ Jetzt weint sich unser Kleines oft in den Schlaf. Es ist unglücklich und allein. Die Selbstgespräche trösten es nicht und es wünscht sich nichts sehnlicher, als schon viel früher seine wahre Bestimmung erkannt zu haben. „Wie konnte ich nur so dumm sein?“ oder „Warum habe ich geglaubt, dass ich als einziger die Wahrheit wusste, wo alle anderen doch ganz anderer Meinung waren?“ Das sind die Fragen, die es jetzt quälen. Und natürlich die große Frage, wie es wohl ist, sich aufzulösen.

Einen schönen Tages, gerade als es vor sich hinmurmelt: „Diese Chance habe ich wohl ein für allemal vertan.“ geht ein Ruck durch die Zuckerdose. Das Stückchen erschrickt, denn es ist fast zu lange her, um sich an dieses Gefühl, durchgeschüttelt zu werden, noch zu erinnern.

Es hört eine Stimme: “Schau mal Martina, die alte Zuckerdose habe ich für dich aufgehoben. Möchtest du sie vielleicht haben?“

Gespannt und sehr, sehr aufgeregt wartet der einzige Bewohner dieser Dose auf die Antwort. Und überraschenderweise, antwortet anstatt der hohen Kinderstimme Martinas, eine erwachsene Stimme. Die kleine Martina ist groß geworden. Sie hat sogar selbst eine kleine Tochter bekommen, mit der sie heute die Oma besucht.

„Schau mal, Katrin!“ wendet sie sich an das kleine  Mädchen. „Diese Dose mochte ich als Kind so gern. Gefällt sie dir? Wollen wir sie mitnehmen?“

„Nur, wenn noch Zuckerstückchen drin sind.“ antwortet das Mädchen. „Und wenn ich eins kriege.“

„Ganz die Mama!“ meint die Oma, nimmt den Deckel ab und hält der kleinen die Dose hin.

Das letzte Zuckerstückchen ist geblendet, zu lange ist es her, dass Licht in die Dose gefallen ist. Trotzdem macht es sich zum ersten Mal so breit und groß, wie es nur kann. Es hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, und jetzt das. „Bitte, bitte, liebe Martina, sag ja zu deiner Katrin.“ Es schiebt sich in die Mitte, plustert sich auf und kann sein Glück gar nicht fassen.

Zwei große Augen schauen hinein zu ihm. „Da ist noch ein einziges.“ freut sich das Kind. „Mami darf ich?“

„Na von mir aus, ausnahmsweise.“

Schon greift eine kleine Hand in die Zuckerdose. Das Zuckerstückchen hat gerade noch Zeit genug zu denken: „Wie schön, endlich, ich löse mich…..“

Und so ist es zum guten Schluss doch noch glücklich verschwunden.

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