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Der traurige Zwilling

 

Es war einmal eine unglückliche Familie. Sie lebte in Köln. Ein Vater, eine Mutter und zwei kleine Mädchen, genauer gesagt zwei eineiige, fünf Jahre alte Zwillingsschwestern. Die Mutter war eine böse Frau, und das war das Problem der Familie. Der gute Vater sagte der Mutter, wie schlecht sie sei, und die schlechte Mutter wollte das partout nicht glauben. Die böse Frau stritt immer wieder mit ihrem guten Mann, sie spielte sogar mit dem Gedanken, diesen zu verlassen. Eines schlimmen Tages war es dann soweit: Sie schnappte sich ihre Kinder und ein paar Klamotten und verließ den guten Vater. Sie nahm sich in einer anderen Stadt eine Wohnung und ließ den armen guten Vater einfach allein. 

Von nun an bekommt dieser seine über alles geliebten Kinder nicht mehr täglich, sondern nur noch zwei, drei Tage die Woche zu sehen. Das ist für den guten Vater unerträglich. Er bittet und bettelt, doch ohne Erfolg. Die böse Frau hat obendrein kein Herz und lässt sich deshalb nicht umstimmen. Sie will niemals mehr zu ihm zurückkommen. Zu schön ist das Gefühl, wenn ihr niemand laufend sagt, wie schlecht sie sei. Obwohl sie die täglichen Streits selbst verursacht hatte, gefällt es ihr komischerweise, gänzlich ohne diese zu leben. Auch merken die Menschen, die sie neu kennenlernt, gar nichts von ihrer Schlechtigkeit. So kommt die böse Frau ungerechterweise gut zurecht, während der gute Vater still vor sich hin leidet.

Der gute Vater möchten seinen beiden Töchtern nicht noch mehr schaden. Deshalb nimmt er sich vor, den beiden nicht zu zeigen, wie sehr er doch leidet. Als seine Erstgeborene ihn fragt, ob er sehr traurig sei, antwortet er ihr: „Natürlich bin ich traurig mein Liebes, aber ich krieg das schon hin. Mach dir keine Sorgen, ich bin erwachsen und Erwachsene können mit so was umgehen.“ Der Erstgeboren fällt ein Stein vom Herzen, sie hatte sich tatsächlich Sorgen um ihren lieben Papa gemacht. Jetzt gibt sie ihm einen dicken Kuss und sagt ihrem guten Vater: „Ich hab dich lieb Papa, du schaffst das schon.“

Dieses Gespräch hat dem guten Vater sehr viel Kraft gekostet und als seine Zweitgeborene ihm die gleiche Frage nach seiner Traurigkeit stellt, bricht er weinend zusammen. Vor lauter Herzschmerz kann er kaum sprechen. Dem Mädchen wird es ganz schwer ums Herz, und vor lauter Mitleid kullern auch ihm die Tränen über das kleine Gesicht.

Die böse Frau lebt unverdienterweise glücklich mit ihren beiden Kindern und einem neuen Mann zusammen. Leider ist sie durch und durch verdorben, so dass ihre Erziehung der beiden Mädchen immer wieder falsch läuft. Aus der Ferne beobachtet der gute Vater die Katastrophe und fühlt sich hilflos. Er kann sich nur immer wieder ermahnen, seinen Kindern das Leben nicht noch schwerer zu machen. Er muss sie beruhigen und ihnen zeigen, wie man das Beste aus ihrer Situation machen kann.

Als seine Erstgeborene ihm erzählt, dass sie zu ihrer Bratwurst kein Ketschup essen durfte, antwortet er ihr ganz diplomatisch: „Überall gibt es die verschiedensten Essgewohnheiten. Es wird dir immer mal was nicht passen. Deine Mutter wollte euch sicher nicht ärgern. Bestimmt ging es ihr darum, dass ihr mal ihre Soße probiert.“ „Na ja, das hat sie schon gesagt.“ antwortet das Kind. „Ich hätte trotzdem lieber Ketschup gegessen.“ Der gute Vater reißt sich noch mal zusammen besänftigt seine Tochter: „Dafür schmeckt dir sicher etwas anderes bei deiner Mutter besser als bei mir. Stimmt’s?“ Die Erstgeborene überlegt kurz und nickt. „Kannst du heute Abend Würstchen mit Ketschup machen?“ fragt sie ihren lieben Papa. „Na klar, Liebchen, mach ich.“ ruft der gute Vater seiner Tochter hinterher, die schon wieder auf dem Weg zum Spielen ist.

Das Lügen ist dem guten Vater sehr schwer gefallen. Weiß er doch, dass diese unfähige Mutter seinen beiden Lieblingen absichtlich nur Schaden zufügt. Bei diesem Gedanken bricht er innerlich zusammen, und genau in diesem Moment kommt seine Zweitgeborene, um ihm auch die Ketschup-Geschichte zu erzählen. Ihm schwinden alle Kräfte, jetzt kann er nicht mehr. Verzweifelt nimmt er das kleine Mädchen in die Arme und fängt an zu schimpfen. Er kann es einfach nicht mehr zurückhalten. „Diese blöde Schlampe, nichts kann sie richtig machen. Warum muss sie euch so unterdrücken?“ Unter diesen Hasstiraden zuckt das Kind zusammen. Es versteht das alles nicht. Eine Mama sollte doch ihre Kinder lieb haben. Und wenn diese das schon nicht tut, wer hat es dann lieb?

Während ihre Schwester sich schon das vierte Würstchen auf den Teller schaufelt und dieses in Ketschup ertränkt, bleibt der Zweitgeborenen jeder Bissen im Halse stecken.

So gehen die Jahre ins Land. Trotz der miserablen Erziehung der bösen Frau gedeiht die Erstgeborene hervorragend. Sie hat Freunde, gute Zensuren, viele Hobbys.  

Ihrer Schwester dagegen geht es gar nicht gut. Sie möchte nicht glauben, dass ihre Mutter sie nicht lieb hat und alles falsch macht, aber dann würde ihr Papa ja lügen. Das möchte sie ebenso wenig glauben. Sie wird misstrauisch ihren Eltern gegenüber, lässt sich immer weniger auf Regeln oder Ratschläge beider Eltern ein. Sie zieht sich zurück und fühlt sich allein, ungeliebt und missverstanden. Manchmal erscheint ihr das Leben wie eine unerträgliche Qual.

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Bis heute fragt sich der gute Vater, warum es der bösen Frau nicht gelungen ist, beide Zwillingsschwestern zu ruinieren.

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